Dann rückwärts, und zwar genau bis dahin, wo sich eine Liegemöglichkeit bot. Nun ist das an sich kein Problem. Mit dem Schiff, auf dem wir sitzen, aber nicht so einfach. Oder besser gesagt: es geht schon, macht allerdings keinen wirklich eleganten Eindruck, wenn ich die Kohinoor auf engem Raum rückwärts manövriere.
Ein kurzes Stück zurück, das Heck bricht aus, der Bug dreht weg. Also hart Ruder legen, einen kurzen Stoß voraus, das Ding liegt wieder gerade. Steht aber auch, die Fahrt ist raus. Ganz sicher bei Strom und heftigem Rückenwind. Dann das ganze erneut. Maschine zurück, Fahrt aufnehmen, Ruderwirkung ist keine, warten bis das Heck sich wieder aus der Richtung dreht, Ruder legen und, und, und...
So ging das eine ordentliche Weile, zumal Wind und Strom das ihre dazu taten, die von mir rückwärts gelaufene Strecke regelmäßig perfide deutlich zu verkürzen. Runde fünfzig Meter hatten wir geschafft, in weiteren knappen fünfzig Metern konnte ich eine Lücke erspähen zwischen zwei Schiffen. Die müsste passen, gerade reichen für uns – also, die Quälerei hätte bald ein Ende und wir könnten gemütlich Kaffee trinkend auf die nächste Brückenöffnung warten. Super also.
Ein wenig leid tat es mir um mein Publikum, wir hatten durch die von uns dargebotenen Wasserspiele doch einige interessierte Blicke auf uns gezogen. Und bald wäre das Schauspiel vorbei, es würde wieder Langeweile einkehren bei den unser Treiben beobachtenden Bootsbesatzungen. Rücksicht nehmen wollte ich darauf nicht. Ich mag kein Publikum, bin eher scheu.
Okay, wir legten mit den weiter oben beschriebenen Mühen die restliche Strecke zurück, die von mir erspähte Lücke war tatsächlich ausreichend groß, sie wird so sechzehn Meter gehabt haben und wir hatten riesiges Glück. Am Ufer wartete eine hilfsbereite Dame, die gern bereit war, unsere Leinen anzunehmen. So musste Frau Cornelia nicht runter von unserem hochbordigen Schiff.
Das nun folgende Anlegemanöver verbockte ich vollkommen, die von mir als Spring geplante Vorleine lag schon auf dem landseitigen Poller und war zu Frau Cornelia zurückgewandert, die beiden Mädels vorn hatten hervorragende Arbeit geleistet, als eine Böe mein Heck wegdrückte und der Strom das Seine hinzutat. Ich konnte die unverhoffte Schiffsbewegung nicht ausgleichen, der Bug drohte gegen die Kade zu krachen.
Ich kann auch laut und brüllte nach vorn:
„Leine los, wir müssen zurück.“
Warten vor der Brücke in Birdaard
Die Worte waren noch nicht komplett ausgesprochen, da hatte Frau Cornelia die Leine frei, die hilfsbereite Dame hielt unseren Bug ab von der Kaimauer. Ich konnte zurückstoßen, kam frei, es hatte noch mal gutgegangen, nur fest waren wir eben nicht. Kann mal passieren, ist aber blöd.
Ich begann das Schiff neu auszurichten, peilte die Distanz zum Ufer und sah dabei im Augenwinkel eine weitere, eine neue Person an der Kade stehen, die Hände in die Hüften gepresst.
Au fein, dachte ich, dem kannst du gleich die Achterleine rüberwerfen. Macht die Sache leichter und begann vorsichtig zur Kaiung zu laufen.
„Du musst jetzt Ruder legen“, hörte ich und dann, „nach Steuerbord, jetzt!“ Die mir zugerufenen Befehle kamen deutlich aus Richtung des Mannes mit den auf die Hüften gelegten Händen.
Und jetzt dies und dann das. Es hörte nicht auf. Eine Schwall hilfreicher Hinweise quoll in meine Richtung. An sich bin ich von wortkarger Natur, Frau Cornelia weiß das zu beklagen, hier aber fühlte ich mich zu einer Erwiderung genötigt:
„Danke, ich komme zurecht, wenn du gleich die Achterleine annehmen könntest, wäre ich dir dankbar.“
Mit meiner Reaktion war der Mann sichtlich nicht einverstanden, machte aber weiterhin heftig gestikulierend klar, wie ein anständiges Anlegemanöver gelingen könnte, ich bräuchte mich ausschließlich nur an seine Anweisungen zu halten.
Den Gefallen tat ich ihm nicht, ich reagierte in keiner Weise auf seine Ratschläge. Ich weiß, das ist unhöflich, zu meiner Entschuldigung sei angeführt, dass das Manöver wegen der Umstände nicht ganz einfach war und genau deshalb meine volle Konzentration erforderte.
Meine Ignoranz sorgte nach nicht zu langer Zeit dafür, dass der gute Mann sich Frau Cornelia zuwandte, er musste doch dieses hilflos treibende Boot ans Ufer bekommen:
„Geh nach hinten“, rief er ihr zu, „du musst erst die Heckleine festmachen. So wie dein Mann das will, geht das nicht. Mach schon, sonst fährt er gleich Euer Schiff kaputt.“
Frau Cornelia, stets höflich und meistens vornehm zurückhaltend, äußerte sich wie folgt:
„Mit dem Mann dahinten am Ruder bin ich seit vierzig Jahren auf Booten unterwegs. Mit seinen Anweisungen bin ich bislang recht ordentlich gefahren. Auf dem Wasser richte ich mich nach dem, was mein Mann sagt!“
Diese wenigen Worte führten unmittelbar dazu, dass wir niemanden mehr zum Annehmen der Achterleine zur Verfügung hatten. Der bis dahin so bemühte Helfer drehte sich um und verschwand wort- und grußlos.
Mir ging das Herz auf. Ich war Frau Cornelia für ihre so wohl gesetzten Worte sehr dankbar und bin es noch immer. Hoffentlich muss ich sie nie enttäuschen. Ein winziges Detail an ihrer Aussage allerdings, ich muss es zugeben, piekste innen in mir ein wenig, es war der leider einschränkende Zusatz „auf dem Wasser“.
Eine kleine Weile benötigten wir noch, dann hatten wir mit Hilfe der freundlichen Dame, sie hatte geduldig gewartet, das Boot sicher und anständig am Ufer. Wir konnten gemütlich Kaffee trinken und einige Küchlein verspeisen.
Nach der verdienten Pause half ich dabei, ein eben angekommenes Boot anzunehmen und ging dann rüber zu dem Mann, der sich so selbstlos bemüht hatte, uns ans Ufer zu bringen. Er lag mit seinem Boot direkt hinter uns, ich wollte die Situation vorhin gern nachbesprechen mit ihm.