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Eine Tour in alte Zeiten

Wind wird kommen



20.07.2022 | © pt


Sommerreise '22, Teil 3

wenn's erst Teil 1 sein soll, den gibt es hier


Wind wird kommen

Was tun, verdammt? So aus tiefem Schlaf gerissen denk' ich nicht gut, noch langsamer als sonst allemal. Polizei anrufen in Melle? Nee. Die Feuerwehr? Schlafende Spritzenmänner soll man nicht wecken, sagt ein vermutlich nur mir bekanntes Sprichwort. Also die 112 auch nicht.

Die Kamera, du könntest die Kamera aufrufen! Na also, warum nicht gleich daran gedacht? Sie zeigt ein klares Bild der unteren Etage, kein Rauch, auch keine Feuersbrunst. Aber sie hängt unten, die Kamera, der Rauchmelder oben im Flur. Wenn's oben brennt kann unten noch schönstes Wetter sein, das klare Bild auf dem Tablet ist bestenfalls eine zweifelhafte Entwarnung.

Weiter, weiterdenken! Ich wähle die Nummer von Kind Verena, sie wohnt nur sechs Kilometer entfernt. Fünf mal Klingeln, zehn mal – nix. Schwiegersohn Nico, das gleiche, auch nix, keine Reaktion. Die nächste in der Reihe ist Daggi, auf der Handynummer kein Erfolg, dann das Festnetztelefon, sie haben noch eines. Ist selten heute. Beim vierten Klingeln:

„Harald hier.“

Ich brauche kaum zu erklären, Schwager Harald ist Feuerwehrmann – einer der auch einen Fehlalarm nicht lange übelnehmen würde.

„Wir fahren sofort los, melden uns“, sagt er und legt auf.

Keine zehn Minuten später kommt telefonische Entwarnung – Alles in Ordnung, kein Brand, kein Rauch, nur ein übereifriger Melder.

Sie hätten die Batterie rausgenommen aus dem Störenfried, nun sei Ruhe im Haus. Sie gingen jetzt wieder schlafen, sagen sie und wir, wir sollten uns doch auch noch mal hinlegen.

Danke Daggi und Harald, ihr seid toll!



24. Juni bis 12.Juli

Um halb elf knoten wir in Möltenort die Leinen von den Pollern, deutlich später als geplant. Schuld ist die nervenzehrende Schlafunterbrechung durch die Meller Haustechnik. Das Tagesziel Sønderborg haben wir uns abgeschminkt, stattdessen geht es nach Maasholm.

Kohinoor in Heikendorf

Unser Liegeplatz in Möltenort


Die Tour macht ein nasses Deck, es weht aus West mit Fünf, in der Spitze Sechs. Außerdem müssen wir einigen Regattafeldern ausweichen – trotz Besuchermangel ist ja dennoch Kieler Woche. Anfangs ist unser Kurs recht hoch am Wind, später geht es deutlich besser. Kohinoor macht sich noch immer gut. IHR merkt man das Alter kaum an.

Eine kleine feuchte Begebenheit sei noch nachgeschoben: Etwa zur Halbzeit unserer kurzen Reise glitt mein Blick über unser nicht allzu zu großes Vorschiff und ich dachte so bei mir selbst: „Kann doch nicht sein, oder vielleicht doch?“ Fragen tat ich Folgendes:

„Sag Spatzerl, ich seh' das vermutlich nicht richtig, kann es wohl sein, dass du dein Luk nicht dichtgemacht hast heute Morgen?“

Antwort gab es keine. Die Frau Cornelia ist bei Seegang ungern unter Deck, nun allerdings schoss sie los wie von der sprichtwörtlichen Tarantel gestochen und ward recht lang nicht mehr gesehen. Zur Erklärung sei erwähnt, sie schläft im Vorschiff, die Frau Cornelia. Ihr Bett ist recht dicht bei dem Luk, eigentlich zum großen Teil sogar unter ihm.

Um 14:30 liegen wir im netten Maasholm. Als wir am Abend gegen 19:00 Uhr unseren Tisch im Garten des Störtebeker mit vollen Bäuchen verlassen, beginnt es zu nieseln, kurz später heftig zu regnen. Die armen anderen Gäste. Der gemütliche Garten ist noch gut besucht als wir gehen – mit Leuten, die noch auf ihr Essen warten.

Morgen geht es nach Sønderborg und dann weiter nach Norden bis fast ganz oben in Dänemark. So ist der aktuelle Plan. Kurz vor unserem Start in Weener haben wir ihn endgültig beschlossen, die Admiralin und ich.

Eigentlich war mein Vorschlag die Eider gewesen:

„Lass uns doch zuerst die Eider machen in diesem Jahr“, hatte ich gesagt, „soll so schön sein da. Wir gehen nach Helgoland, war ich schon lange nicht mehr und du noch nie und dann rüber zur Eider. Wär' das was?“

„Tidenfahrerei? Aufstehen nach Ebbe und Flut? Vergiss es, Nee! Das muss nicht sein. Hab ich keinen Bock drauf.“

Frau Cornelia war nicht unbedingt zufrieden mit meiner Idee. Dass ich ihr erklärte, nur ein Teil der Eider sei Tidengewässer, bewirkte nichts.

Also keine Eider, keine Besuch in Tönning, kein Liegen in hübschen Friedrichstadt, keine gemütliche Flussfahrt mit vielen idyllischen Anlegern. Schade, aber definitiv nicht verhandelbar.

Ich dachte neu nach, was könnte mir sonst gefallen, woran hätte ich Spaß? Was wäre ein gutes Ziel für uns beide? Der Limfjord kam mir in den Sinn. Tolle Erinnerungen habe ich an einige Besuche dort vor langer Zeit. Das erste Mal habe ich den Fjord gesehen, als ich mit Quirien und Karel ein Boot von Aalborg aus in die Niederlande überführen durfte. Mein Gott, ist das lange her. Eine unvergessliche Reise ist das gewesen.

Durch den gesamten Fjord ging es. In Thyborøn aßen wir zum Dänemarkabschluss im Seemannsheim. Ein uriger Laden war das, beleuchtet von grellen Neonröhren, in der Mitte des Raumes ein Tisch mit großen Bücherstapeln, irgendwo in einer Ecke alte fadenscheinige Sessel, ansonsten einige grobe Tische, wachstuchbelegt, mit ungepolsterten Holzstühlen. Die Essensauswahl war überschaubar, sie beschränkte sich auf Hähnchen mit oder ohne Pommes Frites. Ob es den Laden wohl heute noch gibt?

Später gab es dann noch einige Touren dorthin, meistens im Frühjahr. Damals machte ich mit Jörg und einigen Jungs regelmäßig eine sogenannte Frühjahrstour, meistens von Holland aus und später von Emden. Wir kamen ganz schön rum, sahen einige Häfen in England, besuchten Hamburg, Hooksiel, Helgoland, Zeeland, Esbjerg und eben auch den Limfjord. War 'ne schöne und häufig feuchte Zeit – innen und besonders außen.

Einmal waren wir beinahe komplett hochmotort nach Thyborøn, der Wind hatte uns kurz oberhalb von Borkum verlassen. Entsprechend leer waren die Tanks, als wir den Limfjord erreichten. Glücklicherweise gibt es in Thyborøn eine ordentliche Bunkerstation. Eingerichtet war sie eher für die vielen Kutter, die es damals dort gab. Dennoch wolle man uns gerne vom reichlich vorhandenen Diesel abgeben, sagte der Tankwart mit breitem Lächeln und schleppte einen unglaublich dicken Schlauch heran. An dessen Ende saß eine wirklich erwachsene Zapfpistole. Mit Mühe nur passte sie in unseren Tankstutzen.

Der Tankwart war kein Freund von Zärtlichkeiten, mit nur wenig Menschenkenntnis sah man es ihm an, er drückte die Pistole ungeniert auf vollen Durchlauf. Schon nach wenigen Sekunden verschluckte sich der Tank und spie einen guten Teil des Diesels wieder aus. Der aromatisch riechende Saft ergoss sich übers Deck und verflüchtigte sich, wie könnte es anders sein, ins Hafenbecken. Zweimal wiederholte sich das Schauspiel, dann zog der Dieselverkäufer die riesige Pistole aus dem Tankstutzen.

Er bedeutete uns den Tank zu schließen. Au, scheiße dachten wir, das war's mit Diesel. Der will nicht weitertanken. Doch weit gefehlt, nun kam ein Wasserschlauch zum Einsatz. Mit dem spritzte der Mann unser Deck großzügig ab.

„Nun gibt es keine Flecken mehr“, brummte er, drehte den Verschluss wieder auf und führte mit einer gewissen Eleganz die Pistole erneut ein. Das Wasser um uns herum schillerte inzwischen in all den Farben, die auch ein Regenbogen hervorbringt. Ein mild pastelliges Bild, recht schön anzusehen – bei uns in deutschen Landen allerdings ist diese Form vergänglicher Malerei verboten.

Jörg fasste sich ein Herz und übernahm die Zapfpistole. Von da an ging kein Tropfen mehr daneben. Die Tanks waren nach guten zehn Minuten randvoll. Die Zeit nutzte unser Tankwart und fing zu erzählen an:

„Ihr seid schon ein komisches Volk ihr Deutschen. Das bisschen Diesel. Interessiert doch keine Sau, zumindest hier nicht. In 'ner viertel Stunde ist davon nichts mehr zu sehen. Alles verdunstet – könnt ihr sicher sein. Bei euch wird man bestraft dafür. Watten Blödsinn.

Das Schärfste aber, wenn man, früher war ich Fischer müsst ihr wissen, auf Helgoland im Hafen einen Teller mit Fischgräten ins Wasser schüttet, kommt die Wasserschutz und kassiert 100 Mark. Wegen Gewässerverschmutzung! Ist mir passiert, damals. Glaubt mir – und glaubt mir auch, ihr spinnt manchmal, ihr Deutschen.“

Ja, noch mal in den Limfjord wäre toll, ruhige Landschaft, kleine gemütliche Häfen, herrliche geschützte Buchten, das würde mir gefallen. Kurz vor Abfahrt trug ich der Admiralität meine Idee vor.

„Ja, das können wir machen“, wurde ich beschieden, „aber hintenrum, nicht über Thyborøn. Und nach Hiddensee möcht' ich auch noch, unbedingt. Wenn wir das hinkriegen, dann ist's gut, dann machen wir das.

So also wurde es beschlossen. Darum morgen Sønderborg.

Was gestern zuviel war, ist heute zuwenig, so gut wie kein Lufthauch auf den 19 Meilen nach Dänemark, vier Stunden brauchen wir von Steg zu Steg.

Die Gastlandflagge setzte ich exakt auf der Grenze.

Sonderborg

Sonderborg, der Stadthafen


Damit bin ich genau dort, wo ich begann mit meinem Bericht. Und da ich gern berichte von dem, was schiefläuft auf Reisen, sei eine kleine Episode vom unserem zweiten  Sønderborgtag erzählt, einem an sich beschaulichen Tag, der gemütlich vor sich hintröpfelte.

Solange, bis ich unsere Wassertanks füllte. Unbedingt notwendig war das nicht – aber wer hat, der hat. Und ich hab eben gern volle Tanks, das gilt für Diesel genau so wie für Wasser.

Die Tanks waren nach wenigen Minuten randvoll, das Wasser rauschte aus den Überläufen in die Spüle, so wie es sein soll. Ich wollte los, den Schlauch aus dem Einfüllstutzen ziehen. Was nicht passte in diesem Moment, war die anspringende Bilgepumpe. Sie pumpte, schaltete aus, sprang wieder an.

Verdammt, was ist da wieder los? Wie kann das nun wieder?

Die Bodenbretter hoch, so wie vor kurzem im Vorschiff, nur heute im Salon. Das Wasser rauscht aus dem Inspektionsdeckel des Steuerbordtanks. Zum Glück nichts wirklich tragisches vermutlich.

Und tatsächlich: Das Problem ist schnell behoben – die O-Ring-Dichtung des Deckels lag nicht richtig an. Warum bitte war das Ding dann bislang dicht? Ich weiß es nicht.

Jetzt hält er das Wasser, der Deckel.

Inspektionsdeckel Wassertank

Die Dichtung des Deckels war der Übeltäter


Und noch mal Wasser - einmal noch. Frau Cornelia hatte sich schon hingelegt in ihrem Vorschiff. Ich saß im Salon und ließ den Tag ausklingen. Es regnete, seit Stunden. Nicht sehr, aber doch unaufhörlich. Ein gemütliches Geräusch eigentlich. Solange bis Frau Cornelia die Tür aufriss:

"Mir läuft Wasser ins Bett! Musst du dir anschauen. Die Bettdecke ist völlig naß. Komm!"

Und tatsächlich, ein großer Fleck auf der Bettdecke - unübersehbar.

"Kann nicht. Eigentlich", ließ ich mich ein.

"Doch, guck! Von hier kommt das."

Ein Blendholz ist da angeschraubt. Früher hat da irgendwas gesessen. Und dann: Blupp, blupp blupp und wieder blupp, blupp blupp. Ich sah es.

Und ich schwöre: Noch nie war es da undicht. Oder irgendwo anders im Vorschiff. Auch nicht wenn das Wasser in Kaskaden übers Deck floss.

Also, Schraubendreher holen und das Blendholz wegschrauben. Blupp, blupp blupp. Tatsächlich tropft es aus dem Deck. Zum ersten Mal seit über 20 Jahren. Bei dem bisschen Regen, unfassbar. Aber egal. Abhilfe muss her, zumindest temporär. Ich hole einen Eimer und ein Stück Bändsel. Fünf Minuten später tropft es nicht mehr, zumindest nicht aufs Bett.

Frau Cornelia ist zufrieden.

Leck im Deck

Einen Eimer unters Loch gebracht hat die Sache gut gemacht


Am 28. Juni, drei Nächte haben wir auch aus Wettergründen in Sønderborg verbracht, ziehen wir gemächlich durch den Als Sund nach Norden. Unser Tagesziel: Middelfart im Kleinen Belt.

Sonderborg Brücke

Brückenpassage


Kühe

Kühe am Als Sund


Segler

Recht mildes Wetter


Leuchtturm

Nicht mehr weit bis Middelfart


Besonderes zu berichten gibt es nicht. Typisch angenehme dänische Landschaft links und rechts gibt es zu sehen, zum Schluss der achtstündigen Reise kommt uns reichlich Wasser entgegen, ordentlich südwärts setzender Strom verlangsamt die letzten Meilen. Gegen halb sechs biegen wir in Middelfarts Yachthafen ein.

Einlaufend sehen wir rechter Hand die Tigris aus Weener liegen. Katharina und Dennis sind kurz vor uns reingekommen und auf der Rückreise in die Heimat.

Tigris

Die Tigris aus Weener


Natürlich, hier fehlt der Satz: „Wie klein doch die Welt ist.“ Ich spar' ihn mir.

Essen gibt es im Imbiss am Hafenende. Ich bestelle Pølser mit irgendwas ohne einen Hauch von Ahnung davon, was ich serviert bekommen werde. Nicht der Augenschein, wohl aber vorsichtiges Kauen klärt den Sachverhalt – ich esse kleingeschnittene, vermutlich geräucherte Wurst an Teigwaren mit viel Ketchup – das Ganze ist durchaus genießbar, wenn auch ungewohnt.

Essen in Middelfart

Abendessen in Middelfart


Beinahe rauschende Fahrt am nächsten Morgen. Heute haben wir Wasser mit, den Restbelt machen wir mit mehr als sieben Knoten. Verstehe das wer kann, es ist Nordost wie gestern. Wir nehmen es gerne mit, wir wollen nach Samsø und somit später gegenan.

Essen in Middelfart

Feederfrachter auf dem Weg nach Kolby


Wir legen uns in den alten Fährhafen von Kolby im Südwesten der Insel. Außer uns gibt es nur wenige Besucher, das einzige Restaurant finden wir verschlossen. Die Insel soll eine Perle sein, gesehen haben wir davon so gut wie nichts. Für das Perlige sprechen zwei Gründe: Der Erste, sie, die Insel wurde schon in der Steinzeit von Menschen mit Sinn fürs Beschauliche besiedelt und der Zweite, Frau Cornelia war mit den dargebotenen Wäschewaschmöglichkeiten hochzufrieden. 2014 verzeichnete Samsø die meisten Sonnenstunden Dänemarks –  ein bemerkenswerter Rekord.

Kolby Hafen

Der Hafen Kolby


Kolby

Blick über die Hafenmole


Traditionssegler

Ein Späteintreffer


Nur noch wenige Tage – dann werden wir im Limfjord sitzen. Heute geht es nach Ebeltoft. Wir wollen da einen Tag Urlaub machen, den kleinen Umweg von sicherlich 14 Meilen nehmen wir gern in Kauf. Die warm beschriebene Altstadt mit ihren vielen Fachwerkbauten aus dem 14. Jahrhundert und das kleinste Rathaus weltweit möchten wir erkunden, vielleicht sogar das Glasmuseum am Hafen besuchen.

Hafen Ebeltoft

Ebeltoft


Die 28 Meilen machen wir bei schwachem Wind aus Ost weitgehend unter Maschine. Aus dem Besichtigungstag wird nichts – der Blick ins Wetter sagt für die nächsten Tage eine deutliche Verschlechterung voraus. Bevor es soweit ist, wollen wir den Limfjord auf jeden Fall erreichen. Also weiter am frühen Morgen, dem 01. Juli um 10:50 zum nächsten Ziel.

Den recht großen Yachthafen von Grenaa erreichen wir bei 5 Bft. aus West um kurz vor Vier. Inzwischen hab ich mich sehr an mein Bugstrahlruder, im vergangenen Jahr kam es neu, gewöhnt. Heute versagt es seinen Dienst, brauchen könnten wir es wohl. Direkt hinter der Mole aber finden wir einen schön nach Westen ausgerichteten Platz am Kai. Zum Stromkasten ist es zu weit, die Strecke schafft unser Kabel nicht. Wir dürfen uns beim Nachbarn einstöpseln, sein Verlängerungskabel hat am Ende einen freien Abgang.

Nur morgen früh, sagt der nette Kerl, würde er uns einfach rausziehen, sie müssten sehr früh los.

”Kein Problem für uns. Danke!”

Wir schalten auf unseren Wechselrichter und lassen über das Landkabel nur die Batterien laden. So belasten wir den Anschluss des Nachbarn nicht zu sehr.

So – nun muss ich die Sache mit dem Bugstrahlruder klären. Was man hat, das will man auch nutzen. Und da zeigt sich wieder meine altersbedingte Trägheit, eine Untugend, auf die ich nicht ausschließlich stolz bin, die aber immer öfter durchdringt – ich rufe André vom Yachtservice an, so als ob der aus hunderten Kilometern Distanz die Sache richten könnte. Aber schließlich, er hat das Ding ja eingebaut im letzten Jahr.

”Du André, mein Bugstrahler geht nicht mehr. Was iss da los? Hast du 'ne Idee?”

Und André ist ein netter Kerl, er fragt nicht, ob ich wohl 'nen Knall habe, nein er klärt ein paar Dinge ab und tippt schnell auf eine leere Batterie in der Fernbedienung.

”Hm”, sag ich, ”dann müsste das Ding doch vorher warnen, teuer genug war der ganze Krempel ja. Da war aber nichts.”

Die Fernbedienung liegt neben mir, ich seh sie an, drücke auch drauf und siehe da: Das Ruder dreht. Draußen war es recht kalt, hier drinnen ist es deutlich wärmer und, das weiß jedes Kind, Batterien haben es gerne warm. So wie Frau Cornelia.

Tja, da hat der Junge wohl recht, nur schwache Batterien, Prima.

”Da sitzt 'ne Knopfzelle drinn, CR 2032”, sagt er noch, ”hoffentlich hast du sowas an Bord. Und immer wieder gerne. Ruf ruhig an, nur deshalb sitz' ich hier.”

Tatsächlich, ich hab sowas an Bord. In meiner Krooßschublade. Also, eben das Gehäuse aufgeschraubt und alles ist wieder gut – denke ich, denn: so winzige Torxschrauben hab' ich noch nie gesehen, dafür habe selbst ich kein Werkzeug. Und ich habe viel, wirklich viel, was ich durch die Gegend fahre. Ganze Getriebe konnte ich ausbauen – früher.

Und nun soll ich scheitern, nur weil ich keinen mikroskopisch kleinen Schraubendreher für diese Drecks-Torx habe?

Nee!

Ich mach mich auf die Wanderschaft. Liegen ja genug Leute im Hafen. Wird wohl einer haben, so'n Ding. Pustekuchen, keiner hat. Die vielköpfige Besatzung einer deutschen Bavaria gefällt sich darin, mir grölend mitzuteilen, sie seien nicht hier um Uhren zu reparieren, sie würden  einfach nur segeln wollen.

Witzig!

Andere sind deutlich hilfsbereiter, kramen sogar ihr ganzes Werkzeug durch – leider erfolglos.

Ich trotte zurück zum Schiff, würge solange mit einem winzigen Schlitzschraubendreher an der Fernbedienung herum, bis ich die vier Schräubchen besiegt habe und bin stolz auf mich. In die Köpfe säge ich Schlitze, nu' krieg sie immer wieder raus, die Teufelsdinger.

Auf dem Weg nach Bönnerup

Auf dem Weg nach Bönnerup


Heute haben wir den Wind auf dem Hintern und reisen trotz rund 5 Bft. gemütlich nach Bønnerup, dem letzten Hafen vor dem Limfjord. Wir laufen ein paar Schritte durch den Ort, sehen uns den Strand östlich des Hafens an. Besonders Beeindruckendes finden wir nicht. Oder doch – ich sollte die sechs Windmühlen auf den Kaimauern nicht verschweigen. Sie machen richtig Krach. Dankenswerterweise aber auch viel Strom. Gegessen wird im Selbstbedienungsrestaurant „Kaikanten“ vorne im Hafen.

Bönnerup Strand

Blick zum Strand von Bönnerup


Die 32 Meilen nach Hals am Eingang zum Limfjord machen wir bei wieder südlichen Winden und zeitweise Gewitter. Am Nachmittag begrüßt uns Hals mit der imponierenden Silhouette der letzten beiden dänischen Eisbrecher. Wir laufen in einem rappelvollen Hafen ein, haben aber Riesenglück: Einige Motorboote am Steg direkt neben der Hafeneinfahrt rücken zusammen und geben für uns knappe 13 Meter Steg frei. Hilfsbereite, nette Leute, das! Wie selbstverständlich helfen sie auch beim Festmachen. So haben wir bei östlichen Winden einen, zwar etwas unruhigen, trotzdem aber schönen Platz für die Nacht. Also, bitte nichts gegen Motorbootfahrer.

Limfjord Ansteuerung

Ansteuerung Limfjord


Eisbrecher in Hals

Eisbrecher nach dem Regen


Unser erstes größeres Ziel, der Limfjord ist erreicht! Noch vor dem großen Wind aus West, von dem der „Windfinder“ seit Tagen für morgen beginnend spricht.

Den Starkwind wollen wir in Aalborg nehmen, Hals verlassen wir um kurz nach neun und haben 21 Meilen vor uns. Das Wetter ist mistig, Regen und Wind, weitgehend von vorn. Der Limfjord ist hier noch flussartig schmal. Man sollte sich nicht zu weit vom Tonnenstrich entfernen, es wird schnell bedenklich flach, also Obacht.

Straßenbrücke in Aalborg

Straßenbrücke in Aalborg


Im Zentrum von Aalborg sind zwei Brücken zu passieren. Von Osten kommend zuerst die Straßenbrücke „Limfjordsbroen“, sie öffnet vereinfacht gesagt zu jeder vollen Stunde. Es folgt unmittelbar danach die Eisenbahnbrücke „Jernbanebroen“, sie ist bemüht nach Bedarf zu öffnen, so wird erzählt. Es folgen linker Hand kurz aufeinander folgend drei Yachthäfen. Wir wählen nach kurzem Aufenthalt im ersten, dem Vestre Badehavn, den zweiten, den Skudehavn und finden einen anständigen Platz an einem Fingersteg. Unser Bug zeigt nach West und das ist gut, denn von da wird es blasen in den nächsten Tagen.

Die dritte Liegemöglichkeit, die Marina Fjordparken ist recht stadtfern, sie sei ausdrücklich nur Laufbegeisterten empfohlen.

Den Vestre Badehavn, ich erwähnte ihn eben, haben wir übrigens auf meinen Wunsch verlassen. Wir waren in einer so trostlos verrosteten Ecke gelandet, dass selbst ich als bekennender Freund rottiger Häfen angewidert war. Frau Cornelia zeigte sich überrascht:

„Du willst hier weg? Das versteh wer kann.“

Später stellten wir fest, dass es eigentlich ein netter, wohl sehr enger Hafen ist, nur das Becken in dem wir gelandet waren, ein Werftbereich, war wirklich eine vollendete Katastrophe. Zudem hatten wir, an einem Slip liegend, Null Wasser unter'm Kiel – zwei Meter zeigte das Lot.

Aalborg zeigt sich als angenehme Stadt, wir erkunden das Zentrum mit unseren Rädern. Hier brüllt der Wind bei weitem nicht so, wie an unserem Liegeplatz.

Aalborg Zentrum

Aalborg Zentrum


Für den zweiten Nachmittag hat Frau Cornelia sich einen Frisörtermin beim nächstgelegenen Haarstylisten gemacht. Unbedingt sei ein Haarschnitt fällig, hatte sie gesagt – bei mir stoßen Ankündigungen dieser Art regelmäßig auf ein gewisses Unverständnis. Ich verfüge über einen Langhaarschneider, den ich etwa alle drei bis vier Monate gründlich zum Einsatz bringe.

Das aber ist nicht Frau Cornelias Ding. Vielleicht muss man das verstehen. Wie auch immer, sie kam zurück vom Frisör und sah, das muss unbedingt gesagt werden, gut aus. Ich brachte das deutlich zum Ausdruck, machte Komplimente – so gut es mir gegeben ist.

Frau Cornelia aber nicht wirklich glücklich, sie zog die Lippen kraus:

„Du willst nicht wissen, was das gekostet hat. Ich glaube wirklich, die haben mich abgezogen. Nur schneiden und dann soviel Geld. Unfassbar!“ Immerhin, nett wäre sie gewesen, die Frisörin.

Sie erzählte es dann doch, 589 Kreuzer habe sie geben müssen, eben habe sie ausgerechnet, dass seien ziemlich genau 78,53 Euro. Noch nie sei ein Haarschnitt bei ihr so unfassbar teuer gewesen.

Mein tröstendes, „sieht aber wirklich gut aus, steht dir prächtig“, kann ihre Enttäuschung darüber, vermutlich über's Ohr gehauen worden zu sein, nicht mindern.

Ihre Laune sinkt fühlbar in Gefrierpunktnähe, als wir später in der Stadt zig Frisörgeschäfte entdecken, sie alle bieten auf großen Werbeaufstellern Damenhaarschnitte für runde 200 Kreuzer an.

„Hasilein“, flüstere ich zärtlich, „wer weiß wie bemoppelt du da zurückgekommen wärest. Lass es uns um Gottes Willen nicht ausprobieren. Außerdem, das musst du zugeben: Hierhin wäre es deutlich weiter gewesen als zu deinem Superstylisten.“

Unbedingt erwähnenswert ist die alte Möbelfabrik direkt an unserem Hafen gelegen. Heute firmiert das unscheinbar hässliche Gebäude als „Aalborg Streetfood“ und beherbergt unglaublich viele Küchen. Vom Burger bis zur Pizza und von mexikanischer Küche über Sushi bis hin zu Wokgerichten und indonesischem Essen ist hier alles in sehr ordentlicher Qualität erhältlich. Natürlich kann man sich auch betrinken. Sitzen tut man an Bierzeltgarnituren kreuz und quer, drinnen, oder, wenn man ausreichend hart gesotten ist, auch draußen. Der Wind pfeift dermaßen über die Terrasse, dass sich das Tischabwischen erübrigt. Sollte doch mal etwas festgeklebt sein, der Regen spült es vondannen.

Aalborg Streetfood

Aalborg Streetfood


Die Preise – sie sind halt skandinavisch. Viele junge Leute dort, und häufig laute Musik.  Der Besuch ist ein unbedingtes Muss! Mit dem zusätzlichen Vorteil der kurzen Wege für Hafenlieger.

Auf dem Weg nach Nibe

Auf dem Weg nach Nibe


Nach drei Tagen ändert sich der Wetterbericht, der Blick aus dem Niedergang bestätigt die Prognose. Ein Tag mit wenig Wind und verhaltener Sonne erwartet uns. Wir haben einiges gesehen in Aalborg, sicherlich nicht alles. Trotzdem wollen wir das kurze Wetterloch nutzen und endlich weiter in den Fjord vorstoßen, gerne in Ecken, die ich von früher her kenne: Am 07. Juli lösen wir die Leinen und ziehen bei 5 Bft. aus Nord nach Nibe. Das Fahrwasser dorthin ist teils eng, der Limfjord hier insgesamt sehr flach. Im kleinen Hafen findet sich am Gästesteg ein schöner, windgerecht nach Nordwesten ausgerichteter Liegeplatz für unsere Kohinoor. Wir werden ihn brauchen.

Liegeplatz in Nibe

Liegeplatz in Nibe


Der abendliche Blick ins Wetter verheißt nichts Gutes, alle moderaten Vorhersagen wurden eingezogen und durch neuerlichen ordentlichen Wind ersetzt. Über Tage und natürlich gleichermaßen Nächte soll es blasen. Zur Weiterreise lädt die Vorhersage gewiss  nicht ein. Zumal der Wind westlich sein soll, 7 Bft. seien dabei keine Seltenheit, teilt der Wetterbericht emotionsfrei mit. Wir werden Nibe ausgiebigst erkunden müssen – bis in den letzten Winkel. Schwer fallen wird uns das nicht – Nibe ist nichts weiter als eine winzige Kleinstadt an der Nibe Bredning, einer Ausbuchtung des hier an sich noch schmalen Limfjords.

Am Folgemorgen beginnend ist der Hafen ein pfeifendes und klirrendes Inferno, nach Westen ist er windmäßig völlig offen. Ungehindert bringt der Wind Fallen zum Schlagen und macht aus den Verstagungen grausam schlecht gestimmte kreischende Instrumente. Zur Sicherheit bringe ich eine zweite Spring aus, sie reduziert das ständig gemein knarrende Geräusch der anderen Achterspring in der Lippklampe.

Sobald wir das Hafenterrain verlassen, die vielbefahrene Landstraße überquert haben und ins Städtchen eintauchen, wird es erträglicher mit dem Wind. Wir kaufen ein paar Kleinigkeiten im Netto, Frau Cornelia sucht sich eine neue Sonnencreme aus. Wozu bloß?

Einkauf in Nibe

Einkauf in Nibe


Wir wandern durch die Tyvedalsgade, Stenvej, Toften, die Fjordgade und so weiter. Finden den kleinen Marktplatz, Julins Café, natürlich auch die Kirche und die Butik Blossom, das örtliche Bekleidungsgeschäft. Ein Highlight ist der Eisladen Guf & Kugler am Hafen. Das Eis ist selbstgemacht, es verdient das Attribut „Weltklasse“. Auch kleine Snacks werden angeboten, statt Selbstgekochtem lassen wir uns am vermutlich zweiten Abend einige Kleinigkeiten zubereiten. Sie können das Eis bei Weitem nicht toppen.

Nibe

Die Stadt ist überschaubar


Die Bedienung der hafeneigenen Waschmaschine bereitet Frau Cornelia solche Schwierigkeiten, dass sie meine Expertise anfordert. Gemeinsam gelingt es, die Tür der störrischen Maschine zu öffnen, wie, das weiß ich nicht. Für mich tippe ich auf Anfängerglück, denn eigentlich habe ich kein gutes Verhältnis zu solchen Reinigungsapparaten.

Nach vier wenig ereignisvollen Tagen ist morgens Ruhe, der Wind ist auf ein erträgliches Maß zurückgegangen, wir können weiter, juhu. Unser Zielhafen ist Løgstør am Ausgang des Aggersunds, danach wollen wir weiter nach Thisted und dann gemütlich die recht große Insel Mors umrunden.

Havarist

Nicht alle haben einen wohlmeinenden Schutzengel


Nach nur kurzer Wartezeit vor der Aggersundbrücke laufen wir am Sonntag, dem 10. Juli gegen halb drei ein und platzen direkt ins jährliche Muschelfest. Eine gutbesuchte, lautstarke Veranstaltung ist das, direkt neben der Kohinoor spielt ein Akkordeonvirtuose auf, er kann es wirklich und macht mich neidisch.

Das Liegegeld ist für dänische Verhältnisse ungewöhnlich günstig, inklusive Strom brauchen wir nur 160 Kreuzer herauszurücken. Von einer bisher nicht angetroffenen Besonderheit gilt es zu berichten: Die Zahlung des Liegegeldes wird nur in Bar akzeptiert und von einem wahrhaftigen Hafenmeister an der Kade kassiert. Einzigartig, wie mir scheint – und sehr sympathisch.

Kohinoor in Lögstör

Kohinoor in Lögstör


Um vier Uhr ist das Fest zu Ende, wir unterhalten uns noch lange mit einem netten Eingeborenen, der unsere Sprache virtuos beherrscht und uns vieles über Land und Leute erzählt. Er war lange beruflich in Deutschland und hat dazu beigetragen unser modernes Mobilfunknetz aufzubauen.

Abends mache ich den Vorschlag, nicht direkt nach Thisted zu gehen, sondern Mors in die andere Richtung zu umrunden und erst die kleine vorgelagerte Insel Fur zu besuchen. Wegen des weiter vorherrschenden Westwindes wäre das deutlicher günstiger, sage ich.

Der Vorschlag wird angenommen.

Die Ernüchterung folgt am kommenden Vormittag: Wetter zum Kotzen wird angekündigt, beginnend vermutlich übermorgen und eine Woche anhaltend. Irgendwie ist der Wurm drin, es läuft nicht richtig mit in diesem Jahr.

Wir berufen einen Schiffsrat ein, eine Vollversammlung gewissermaßen. Der Wind bleibt West und soll während der nächsten Tage mehrfach zu Sturmstärke auffrischen.

Lögstör

Ein Extrahäfchen in Lögstör


Løgstør ist ein hübsches Örtchen, zweifelsohne. Eine Woche hier verbringen möchten wir trotzdem nicht. Man wird es uns nicht ernsthaft verübeln. Geplant hatten wir für den Limfjord gute zwei Wochen, maximal drei. Am Ende der vorhergesagten Starkwindphase wäre das Kontingent an geplanter Zeit mehr als ausgeschöpft. Alles Scheiße also.

Schließlich wollen wir noch in Deutschlands Osten, ich berichtete davon, Frau Cornelia, Hiddensee und so. Die aus der Situation resultierenden Beschlüsse werden einstimmig gefasst: Zurück nach Aalborg – morgen mit dem letzten für uns erträglichen Wind. Dort das Wetter abwarten. Und dann, wenn sich Besserung abzeichnet, nach Süden ins schöne Ostdeutschland.

Ich kann damit leben, bin ja weiß Gott kein Kleinkind mehr. Immerhin bleibt die Erinnerung an meine früheren Besuche der Region wach. Wir machen Sightseeing in Løgstør und einen Fahrradausflug in die Landschaft. Unter anderem geht es entlang an einem schnurgerade und parallel zum Limfjord verlaufenden Kanal. Gern wüssten wir, warum es ihn gibt.

Vor einem schönen, schon ordentlichem Wind geht es am kommenden Vormittag zurück nach Aalborg. Dort werden wir uns während der nächsten Tage besser unterhalten können als hier. Für die 25 Meilen brauchen wir von Steg zu Steg 5 Stunden.

Segler

Zurück nach Aalborg


Um 15:00 Uhr liegen wir direkt am „Aalborg Streetfood“. Zumindest für ausreichende Mahlzeiten ist gesorgt während der kommenden Tage.



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