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Sommerreise Ostsee 2017 (Teil 1)

Auch in diesem Jahr steht wieder eine größere Ostseetour an. Die Vorbereitungen verlaufen teils turbulent. Auf unserem Weg wird viel deutsche, dänische und schwedische Landschaft liegen, etliche Städte werden wir zu sehen bekommen. Und ganz ruhig angehen lassen wollen wir's auf unserem knappen zwölf Metern Segelschiff.



2018 | © pt


Bald geht's los

Im vergangenen Jahr waren wir auch unterwegs, die Frau, die wir Cornelia nennen wollen zum einen und zum anderen ich, der Steuermann – acht Wochen lang am Stück. Und jeder, der Frau Cornelia kennt, wird es nicht glauben: Am Ende der Reise, wir sitzen wieder in unserem kleinen, völlig verschlickten Hafen in Weener an der Ems, da sagte sie:

„Ach, hätte auch ruhig noch etwas länger sein können.“

Mir hüpfte das Herz. Fährt sie doch eigentlich immer nur mir zu Liebe mit. Sie ist keine echte Seefrau, sie steuert nicht gern, sie setzt die Segel nicht gern, sie macht die Kartenarbeit nicht gern und sie fährt nicht gerne nachts. Aber sie geht mir immer gut zur Hand und wir sind ein eingespieltes Team, seit deutlich über 30 Jahren schon. Und im Vertrauen: Auch ich bin kein echter Seemann. Aber ich liebe das Reisen mit dem Boot, genauer mit unserem Boot.

Unser Boot, ja das ist eine Sparkman + Stephens 38. Gebaut im Jahre 1976 in Finnland. Ein urstabiles Schiff von knapp 12 Meter Länge und 3,70 Meter Breite aus GFK mit einem wun­derschönen Teakausbau und guten Segeleigenschaften. Trotz viel zu alter Segel macht es so manch neuem Riss noch immer eine lange Nase.

Ich persönlich schone diese alten Segel gerne mal – immer dann, wenn es nicht richtig passt: zuwenig Wind, zuviel Wind, Wind aus falscher Richtung und so weiter. Auch deshalb bin ich kein richtiger Seemann. Sicher gibt es noch andere Gründe. Die aber bleiben hier unerwähnt.

Ankerbucht in Schweden
Ankerbucht in Schweden

Zwei Monate waren wir also unterwegs gewesen. Und am Schluss sagt die Frau Cornelia, dass es ja ruhig noch etwas län­ger hätte sein können. Natürlich vergess ich das nicht und spreche das Thema im Winter, so um Weihnachten herum, an:

„Du Spatzerl, was hältst du denn von einer etwas längeren Reise im nächsten Jahr?“

„Hm...“

„Ja, ich dachte, du weißt, ich wollte doch immer gern den Götakanal machen, haben wir doch schon häufiger drüber gesprochen. Fandest du doch auch gar nicht so schlecht die Idee...“

Etliche „hm’s“ später ist die Sache klar.

Sie: „Wir machen das. Vielleicht aber fahr ich zwischendurch mal für ein paar Tage nach Hause. Und die Nordsee, die will ich nicht mitfahren, das könnte Jörg doch mit dir machen.“

Im Grunde ist sie gern auf dem Schiff, die Frau Cornelia. Nur schaukeln soll es nach Möglichkeit nicht. Ich kann das gut verstehen.

Kurze Zeit später kommt Jörg uns besuchen:

„Klar, Nordsee mach ich. Und auch noch’n Stück weiter, wenn’s sein soll.“

So weit, so gut. Und ich fang an zu planen. Route, Häfen, Etmale, Hafentage, Sehenswürdigkeiten und alles was man so macht, wenn man eine längere Reise vorbereitet. Macht Spaß. Ist so, wie schon mal fahren. Nur trockener.

Unten im Bauch hab ich dabei allerdings ein schlechtes Gefühl. Immer, wenn ich bislang eine Reise ausführlich plante, wurde das nichts. Oder es wurde völlig anders. Na, wir werden sehen. Diesmal klappt es bestimmt.

Der normale Mensch hat das Glück, oder, je nach Sicht der Dinge, Pech, neben anderen Aktivitäten auch arbeiten zu müssen; ich habe dieses, aus meiner Sicht, überwiegende Privileg seit einiger Zeit nicht mehr, bin gewissermaßen Rentner, allerdings ohne die damit gemeinhin verbundenen Bezüge. Leider! Und trotz des Rentnerdaseins ist meine Zeit äußerst knapp bemessen. Ein Umstand, der, wie man aus gut unterrichteten Kreisen häufiger hört, nicht ungewöhnlich ist. Im Grunde weiß ich nicht, wie ich mein früheres Leben bewältigt habe. Das vor dem Rentendasein.

Die Reiseplanung lastet, dies sei hier zugegeben, nicht vollständig aus. Dürfte auch gar nicht, denn nebenher ist noch einiges zu erledigen, zum Beispiel Dinge, die mit meinem Ausstieg aus dem Arbeitsleben zusammenhängen und manches am Schiff. Polieren, saubermachen, Plicht neu lackieren, den Bugkorb ändern, damit wir endlich altersgerecht über denselben aussteigen können. Und natürlich die Seitenleiter so modifizieren, dass sie in den Bugkorb eingehängt werden kann, um größere Höhendifferenzen elegant zu überwinden.

Vor Jahren musste Frau Cornelia nach einem übermütig gewagten Sprung von Bord drei Fischkisten heranschleppen und zu einer Treppe stapeln, damit wir überhaupt eine Chance hatten, unser Schiff wieder zu betreten. Ich hätte es nicht einmal verlassen können.

Und dann ist da noch das Projekt mit dem Blockheizkraftwerk, das endlich abgeschlossen werden soll. Es bekommt eine der höchsten Prioritäten. Ich muss das kurz erklären:

Vor etlichen Jahren, ich stand noch deutlich im aktiven Arbeitsleben, begann ich ein winzig kleines BHKW (Blockheizkraftwerk) für Boote zu entwickeln. Für zum Beispiel Wohnmobile hätte man es auch einsetzen können. Oder für Jagdhütten. Keine schlechte Idee eigentlich. Schlägt man doch mehrere Fliegen mit einer Klappe. Mein BHKW macht nämlich drei Dinge: Strom, warme Luft zum Heizen und warmes Wasser für Menschen, die gern warm duschen. Das Ding hilft also gewaltig, wenn mal keine Steckdose für das Landstromkabel zur Verfügung steht. Einen Markt gibt es dafür bestimmt.

Nach Hunderten von Stunden und Zig-tausenden von investierten Euros war ein erster Prototyp fertig und wurde auf unserer Kohinoor, das ist die beschriebene S + S 38, installiert. Auf kleinstem Raum übrigens. Nicht viel größer als eine ordentliche Kühlbox ist mein BHKW. Und so leise wie ich es mir gewünscht hatte. Im Salon kaum zu hören. Nur leider arbeitete das Ding nicht wirklich zuverlässig. Was ganz wesentlich an dem zur Energieumwandlung eingesetzten Dieselmotor lag. Ein Modell, das gerne Öl absonderte und Unmengen Ruß produzierte und zudem noch stank. Keine echte Freude für eventuelle Neben- oder Hinterlieger. Auch ließ es schon mal einen Anlasser verglühen oder Stehbolzengewinde lösten sich in Nichts auf. Die Chinesen, sie waren die Lieferanten des Motors, sind in solchen Dingen offensichtlich wesentlich schmerzfreier als ich.

Darüber hinaus gab es den einen oder anderen selbstgemachten Mangel. Insgesamt betrachtet war ein gewisser Optimierungsbedarf vorhanden. So jedenfalls war das Ding, anders als geplant, nicht vermarktbar. Und leider machten widrige Umstände es unmöglich, die Entwicklung weiter zu verfolgen. Das an sich sehr interessante Projekt wurde in die Zukunft vertagt.

Diese Zukunft konnte jetzt, einige Jahre später, beginnen – mit meinem Eintritt in den Ruhestand. Und schön wäre es eben, wenn wir das modifizierte Ding mit auf unsere Reise nehmen könnten. Um es auf Herz und Nieren zu testen und vielleicht vorhandene Restmängel zu beseitigen. So wäre unsere Reise nicht einfach nur eine Reise, sondern eine dienstlich veranlasste. Eine Dienstreise also. Unbedingt ein interessantes Thema für steuerberatende Berufe.

Nach der Reise wären wir dann sehr viel näher dran an der Vermarktung unseres „Power Blocks“. So lautet der Arbeitsname des Gerätes, das aus Diesel Strom, Wärme und auch heißes Wasser macht.

Also, wo ist das Problem? Den Alten raus, den Neuen rein. Für den Umbau kalkulierte ich großzügig zwei Wochen, für zusätzliche Arbeiten noch mal eine weitere. Nach rund zweieinhalb Monaten drehen, fräsen, verkabeln, programmieren, optimieren usw., war ich schon soweit, dass man sagen konnte: könnte wohl laufen – einbauen!

Ich hatte, viel schlauer geworden, trotz des dreifachen Preises einen wunderschönen Diesel aus deutscher Produktion verbaut und nur ein unverbesserlicher Optimist konnte verdrängen, dass dieser Motor es nötig machen würde, nahezu alle Teile, die in der wunderschönen Schallschutzkiste untergebracht waren, neu zu fertigen.

Wüssten wir darum, wie beschwerlich das Leben sein kann, würden wir es dann überhaupt beginnen? Hätte Herr Edison seine Glühbirne entwickelt, wenn er gewusst hätte, wieviel Lebenszeit ihn das kostet? Wahrscheinlich ja.

Der von mir geplante Abfahrtstermin war wegen der aus Platzgründen nur unzureichend beschriebenen Aktivitäten inzwischen beinahe verstrichen, Mitte Mai sollte Abfahrt sein – es würde vermutlich später werden, das Lackieren der Plicht hatte ich schon auf eine ferne Zukunft verschoben. Ordentlich mit „Rot/Weiß“ polieren muss für dieses Jahr noch mal reichen.

Zusätzlich tauchte ein neues Problem auf, nämlich eines der beiden Knie von Frau Cornelia. Sie hatte wegen ständiger Schmerzen einen Vertreter der ärztlichen Zunft aufgesucht:

„Großes Problem! An Urlaub – drei Monate auf dem Boot – gar nicht zu denken. Hier ist eine Operation angezeigt. Unbedingt und sofort! Und danach: ausgiebige Rekonvaleszenz. Alles kaputt. Keine Chance auf konventionelle Heilung.“ So etwa ließ sich der sehr selbstbewusste Weißkittel ein. Ich hab’s doch gewusst. Plane nie mehr als 24 Stunden im Voraus!

„Spatzerl“, sagte ich, „wir brauchen einen anderen Doktor.“

Ein MRT und zwei hochspezialisierte Doktoren folgten. Einer der beiden pries als unbedingt wirksame Therapie Nahrungsergänzungsmittel an, die er geschäftstüchtigerweise für mehrere hundert Euro aus seiner Praxis heraus verkaufte. Der Rat desjenigen Doktors, der keine Schwindelpräparate empfahl, war dann der Folgende:

„Sie sollten, Frau Cornelia, das Knie nicht zu stark belasten, aber regelmäßig in Bewegung halten, Fahrrad fahren ist gut, gehen auch, aber Taue in deutlich über 50 Schleusen des Götakanals bergauf, bergab zu schleppen, ist keine gute Idee. Operieren aber würde ich in diesem Stadium nicht. Warten wir ab, wie es sich entwickelt.“

Soweit der Befund des Arztes, der uns am ehesten zusagte. Und dem Patientenwohl sicherlich am nächsten kam.

Also, Götakanal ade. Vielleicht später mal. Machen wir halt was anderes. Ohne große Pläne. Und unseren „Power Block“ können wir natürlich überall auf der Ostsee testen.

Gut, dann kann es ja bald losgehen. Nur noch wenige Tage. Karten müssen bestellt werden. Prima, dass ich das noch nicht gemacht habe. Es werden solche vom NX-Verlag (Name geändert) aus Papier und gleichzeitig auch Digital. Meine alten Ostseekarten sind von 2001 und 2003. Mann, Mann, so lange ist das schon her. Da wir nicht genau wissen, wohin es gehen soll, decke ich große Bereiche der Ostsee ab.

Ich hab trotz Bildschirmzeiten gern eine Papierkarte, es lässt sich wunderschön damit planen und im Fall der Fälle gibt es kaum Besseres – nicht nur zum Heizen. Die digitale Version der Karte soll meinen Navigationscomputer wieder auf Vordermann bringen, 2001 ist doch schon zu lange her. Den Computer mit meinem Fugawi-Navigationsprogramm mag ich sehr gern, viel lieber als den auch vorhandenen Kartenplotter, der als Zweitgerät installiert ist.

Montag, Neun Tage vor Abfahrt 

Wie so oft in den letzten Wochen: Wieder nach Weener zum Schiff. Restarbeiten sind zu erledigen. Einiges ist noch zu testen. Auch die Lüftereinheit vom „Power Block“ muss wieder eingebaut werden. Es gab ein konstruktives Problem mit einer Zahnriemenscheibe. Das Ding hatte sich auf der Welle gelöst und wanderte, was dazu führte, dass sich der Lüfter nicht mehr drehte und die entstehende Wärme nicht abgeführt werden konnte. Nicht gut! Ein Hohlstift wird dafür sorgen, dass das nicht mehr passiert.

Alles wieder einbauen. Ist schnell erledigt, Gerät verschließen und starten. Scheiße! Es kommt keine Luft. Das stimmt nicht ganz, es kommt Luft, aber da wo sie nicht soll. Wie kann das sein? Oh Mann, da liegt ja noch ein Luftschlauch in der Plicht. Hätt’ ich besser nicht vergessen sollen. Also: Alles wieder auf, Luftschlauch einsetzen, zuschrauben, starten – läuft. Verdammt, du wolltest doch nicht mehr so hektisch arbeiten.

Jetzt bin ich autark. Landstrom aus, Wechselrichter an. Prima. Bis zu 3.000 Watt mit 230 Volt stehen zur Verfügung. Was für ein Luxus. Da hab ich mir einen schönen Senseo-Kaffee verdient. Endlich wieder mit eigenem Strom. Lecker! Noch einer kann auch nicht schaden. Kaffee wurde ja kürzlich wissenschaftlicherseits für nicht mehr schädlich erklärt.

Senseo wieder an. Neues Pad rein. Es brummt im Elektroschrank. Und es brummt in der Kaffeemaschine. Die Spannung schwankt, sinkt auf 190 Volt. Und aus ist der Wechselrichter. Überlast! Wie kann das sein? Denken, prüfen, Kaffeemaschine wieder an. Das Gleiche. Statt Senseo jetzt den Wasserboiler an. Funktioniert. O.k.; also ist die Senseo Schrott. Die kann man neu bekommen. Morgen. Der Rest des Tages ist Routine. Eben noch zum Yachtservice. Unter anderem den seit dem Winter verschwundenen Festmacher suchen. Natürlich vergeblich. Und ein bisschen mit André klönen.

Es ist kalt heute Nacht. „Power Block“ heizt bestens und es gibt reichlich warmes Wasser. Und Strom als Geschenk obendrauf. Das hat sich gelohnt.

Dienstag, Acht Tage vor Abfahrt

Die neue Senseo eingekauft. Zum Glück gab es das gleiche Model in vornehm gedeckten Braun. Aus nicht nachzuvollziehenden Gründen ist der Wassertank kleiner. Das versteh wer will. Anschließen – Testkochen. Geht doch! Ralf anrufen – Ralf ist Kaffeemaschinenhändler – und ihn loben:

„Gutes Ding – nur zu kleiner Tank.“

Zwischendurch kommt Kuno Buseman und erzählt, dass ein Päckchen, eher ein Paket, für mich eingetroffen sei. Die neuen Karten sind geliefert. Ein ordentlicher Stapel. Die kommen erst mal auf die Lotsenkoje, irgendwann abends werd ich mal drüberschauen und die Elektronischen einlesen, nur heute nicht. Es ist noch soviel anderes.

Ein zweiter Test: Brummen im Schrank. Die neue Senseo ächzt, versucht zu pumpen, vergeblich, Rumps – Wechselrichter aus. Das kann nicht wahr sein! Wechselrichter wieder an. Neuer Versuch mit gleichem Ergebnis. Versuch mit dem Wasserboiler. Wieder – Wechselrichter aus! Oh, oh, da hat der beste Ingenieur aller Zeiten wohl eine falsche Diagnose gestellt. Kein Kaffeemaschinenproblem, wohl eher eins mit dem Konverter. Und eines mit der Selbsteinschätzung. Mann, Mann, Mann.

Dann hab ich jetzt wohl zwei Kaffeemaschinen, da will ich die neue mal wegstauen. Ersatz für den Notfall.

Anruf bei André, dem seit kurzem neuen Betreiber des Yachtservice in Weener.

„Jo, ich komm gleich mal längs. Wir bauen den dann eben aus und gucken mal wo’s liegt.“

Gegen Abend sitzen wir zu dritt, Jörg ist auch dabei, im Yachtservice, der Wechselrichter ist zum zweiten Mal völlig ausgeweidet und überlegen, was zu tun ist. Mal läuft er, meist läuft er nicht. Und wenn er läuft, der Schweinekopf, dann nicht lange. Ein Trafo defekt? Ein Temperaturgeber vielleicht? Messen, überlegen, denken. Aber bei Licht betrachtet: Es ist ein Stochern im Heuhaufen. Sehr komplex das Ding.

Licht ins Dunkel soll morgen ein Anruf beim Lieferanten bringen, die haben sicher eine Idee. O.k., Abendprogramm mit Brötchen und ohne Karten, die sind morgen dran.

Mittwoch, Sieben Tage vor Abfahrt

Der geänderte Bugkorb ist fertig, André holt ihn ab, ich verlege Kohinoor an die Kade beim Yachtservice, dort können wir in Ruhe schrauben. Es muss ja auch noch eine Halterung für unsere Seitenleiter gebaut werden. Damit wollen wir dieselbe multifunktional machen, einsetzbar als einhängbare Bug-leiter und ohne Halterung weiterhin als Seitenleiter.

multifunktionmale Leiter für Kohinoor
Der vordere Radius des Bugkorbes hätte etwas
größer sein können. Aber so ist es sehr praktisch.
Auch die multifunktionale Leiter ist fertig.


Die kurze Reise gestaltet sich schwierig, wie fast immer in den letzten Jahren. Nach nur wenigen Metern zeigt das Echolot nur noch 1,60 Meter Wassertiefe, mein Schiff möchte zwei Meter. Und das trotz umfangreicher Baggerarbeiten in diesem Frühjahr. Mit viel Elan hat man wieder einmal versucht, dem aus der Ems eindringenden Schlick Herr zu werden. Diese Aktion kostete neben vermutlich viel Geld sogar einen ganzen Bagger. Der nämlich rutschte in einer Nacht aus bislang ungeklärten Gründen von seiner Pontonkonstruktion, die sich aus ebenso ungeklärten Gründen zur Hälfte mit Wasser gefüllt hatte und genau deshalb die notwendige Tragfähigkeit verlor. Ein besonderes Schauspiel war die nachfolgende Bergungsaktion, die einen ganzen Tag lang viel Publikum im Hafen versammelte und zu etlichen fachkundigen Kommentaren der interessierten Zuschauer führte.

André hat inzwischen mit dem Wechselrichterlieferanten telefoniert, natürlich nicht ohne das Fehlerbild zu beschreiben. Die Reaktion:

Selbst reparieren könne man an den Geräten gar nichts, nein, einen Tipp geben ginge auch nicht. Defekte Geräte seien immer einzuschicken, man hülfe gern und natürlich so schnell wie eben möglich. Mit rund vier Wochen Reparaturzeit sei zu rechnen – wenn alles gut liefe. Nein, Leihgeräte habe man nicht. Der Kunde müsse sich schon entsprechend gedulden.

Hm, da braucht man nicht zu rechnen, das passt in keinem Fall zu unserer Abfahrtszeit, läuft nicht richtig mit, heute.

Dafür aber die Leiterkonstruktion. André übertrifft sich selbst und leistet wirklich gute Arbeit. Und seine Idee zur Lösung der multifunktionalen Leiter ist sensationell. Ich lobe nicht gern, hier bleibt mir nichts anderes übrig. Einige Minuszeichen in Andrés Beurteilungsheftchen müssen gestrichen werden. Mit wirklich wenigen Handgriffen lässt sich die Leiter umrüsten. Ein voller Erfolg.

Diesen Erfolg brauchten wir auch, denn vorher hatten wir den Bugkorb zur Montage vorbereitet. Lediglich das Stromkabel für die Buglaterne musste um einige Ecken herum wieder durch die Rohre gezogen werden, glücklicherweise hat André fachmännisch einen Sorgdraht eingezogen, bevor das Ding zum Schweißen ging. Also Kabel mit dem Draht verbinden, vorsichtig ziehen und schon in der ersten engen Kurve trennen sich Kabel und Draht mit einem nicht zu lauten „Plong“. Für immer. Pech gehabt!

Mit größtem Fingerspitzengefühl der drei beteiligten Personen konnten wir die Konstruktion in kleinen eineinhalb Stunden überlisten – das Kabel ist drin und wenige Minuten später ist der Bugkorb dann montiert und ziert das Schiff mit neuem, aussteigefreundlichen Gesicht.

Wegen des Konverters überlegen wir noch mal neu und beschließen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die verbauten Kondensatoren schuld am Desaster sind. Ich bestelle neue bei dem Elektronikfachhändler, der immer innerhalb von 24 Stunden liefert. Der Name wird hier nicht genannt, weil es anders kommt. Nämlich so: Am späten Nachmittag erhalte ich eine Mail mit wenig erbaulichem Inhalt. Man entschuldigt sich. Die angeforderten Teile seien derzeit nicht im Vorrat. Man liefere so schnell wie möglich. Und so schnell wie möglich hieße in diesem Fall etwa am 28.06.2017. Jo, genau so war das.

Quasi gleichzeitig kommt André vorbei und gibt mir einen nicht zu schweren schwarzen Aluminiumkasten:

„Hier, ist Jörgs alter. Ist zwar kein Sinuswechselrichter, aber vielleicht geht er ja. Und hat zwei KW Leistung. Probier ma aus.“

Hab ich ausprobiert und probehalber reingeschraubt in den Elektroschrank. Rechner geht. Kaffeemaschine geht nicht. Fernseher geht. Anlage geht nicht. Nee, so einen Konverter will ich nicht. Alles oder nichts. Aber „nichts“ ist keine Option. Trotzdem: Danke.

Also folgt nach meinem Abendessen eine Internetrecherche, das Einlesen der neuen Karten kann warten. Ich hatte zwei Brötchen lang nachgedacht und hin und her überlegt. Nee, ohne 230-Volt-Versorgung willst du nicht fahren – hast dich so an den Komfort gewöhnt und der Schiffsrechner, der, auf dem das Fugawi läuft, braucht auch 230 Volt. Und wenn Frau Cornelia nicht föhnen kann – nicht auszudenken!

Mit dem mir immer wieder holden Glück finde ich nach kurzer Zeit ein passendes Gerät: Reiner Sinus, 3.000 Watt Leistung, sofort lieferbar, auch die Maße passen gut. Nur viel zu preiswert. Na egal, wenn die es schreiben, muss ja stimmen was sie sagen. Also Bestellbutton drücken, Kreditkartennummer angeben und hoffen. Wenige Minuten später kommt die Bestätigungsmail:

Das Ding sei sozusagen schon da.

Prima, dann sind wir mal zuversichtlich.

Donnerstag, Sechs Tage vor Abfahrt

Heute ist Plicht polieren und Rigg einstellen angesagt, wird Jörg doch wieder viel zu locker sein, das Rigg. Gut, dann muss er es eben nachsetzen. Außerdem mach ich noch dies und das. Sicher, auch der Fußboden im ganzen Schiff muss noch bearbeitet werden – mit Bohnerwachs. Ja Jörg, ich weiß, das ist dann viel zu glatt. Sieht aber schick aus und kaschiert ganz gut die kleinen Macken aus 40 Jahren Schiffsleben. Wenigstens für ein paar Wochen.

Es kommt eine Mail vom Transporteur des Wechselrichters: Wegen der Pfingsttage und großen Transportaufkommens könne man den Wechselrichter erst Dienstag zustellen, dann aber ganz sicher.

Abends, es ist alles sauber, der Boden glänzt, die Plicht sieht so lala aus, setze ich mich an die Karten. Die aus Papier hab ich als sogenannten Atlas gekauft. Ich war skeptisch, jetzt aber, wo sie vor mir liegen, gefällt mir das sehr gut. Handliches Format, nicht mehr so viele lose Blätter, die zumindest bei mir immer durcheinander sind. Die elektrischen Karten befinden sich zum großen Teil auf einer DVD, der Rest ist im Netz gelagert und kann bei Bedarf jederzeit heruntergeladen werden.

Kein Problem für mich, verfügen wir doch seit kurzem über eine tolle Blumenvase auf unserem Boot. So nennen wir unseren neuen „Giga-Flex-Cube“ von einem namhaften Mobilfunknetzanbieter. Dieser Apparat bietet für rund 35 Euro monatlich 50 Gigabyte Datenvolumen und zwar auch monatlich. Da bleiben kaum Internetwünsche offen. Zahlen muss man nur für die Monate, in denen man die Vase nutzt. Ideal, so meine ich, funktioniert allerdings nur in Deutschland.

Ich lade also die zwei Kartensätze, die nur im Internet verfügbar sind, vom angegebenen Server auf meinen Schiffsrechner und schiebe dann die DVD ins Laufwerk, um deren Daten auf die Festplatte zu ziehen. Pustekuchen, das Laufwerk erkennt die DVD nicht. Ein zweiter, dritter und vierter Versuch schlägt genauso fehl. Fuchs, der ich bin, stecke ich eine andere Scheibe ins Laufwerk. Keine Leseprobleme. OK, dann ist das Ding wohl defekt. Kommt vor. Was soll’s, wir klären das. Im Zweifel kann ich die Karten ja auch aus dem Internet ziehen, Datenvolumen ist Dank Blumenvase genügend da.

Erstmal mit den aus dem Netz geladenen Karten weitermachen. Ich bin vorsichtig und lasse sie nicht gleich von meinem Schiffsfugawi einlesen. Stattdessen kopiere ich sie auf meinen Laptop, da ist auch ein Fugawi drauf. Es funktioniert nicht. Die Details spar ich mir. Es funktioniert einfach nicht, Fugawi, mein gutes altes Fugawi 4.5 erkennt die Karten nicht. Bislang konnte ich alles einlesen, Unmengen selbst gescannter Karten, Karten von Navionics, natürlich auch solche vom NX-Verlag, und und und. Ich schau mir das Ganze genauer an und stelle fest, dass die neuen Karten eine andere Endung haben, ein anderes Format als früher. Sie heißen heute hinten EAP und nicht mehr KAP, wie früher. Bettzeit. Ich werd da morgen mal anrufen. 

Freitag, Fünf Tage vor Abfahrt

Anruf beim NX-Verlag. Schon nach kurzer Zeit spreche ich mit Herrn Graf (Name auch geändert). Herr Graf ist für Probleme zuständig. Das ist gut, denn ich habe Eines. Schön, wenn er es lösen kann. Herr Graf versteht überhaupt nicht, dass ich mit den Karten nicht zurechtkomme.

Seit 18 Jahren habe man seitens des Verlages nichts geändert, auch das Format nicht.

Mich wundert das. Habe ich doch gestern Abend anderes festgestellt.

Nein, nein, das könne nicht sein. Und wenn etwas nicht in Ordnung sei, dann sei das sicher ein Fehler im Fugawi. Sollte ich weiterhin Probleme haben, könne ich mich jederzeit wieder melden. Heute sei er bis 17 Uhr erreichbar. Dann wieder ab Dienstag. Wegen Pfingsten. Einen schönen Tag noch.

Das war nicht wirklich hilfreich. Wohl nicht jeder Problemlöser löst die Probleme ihm fremder Menschen auf Anhieb. Und wahrscheinlich ist auch nicht jeder ein wirklicher Fachmann. Ich beginne zu recherchieren. Nach einiger Zeit werde ich fündig. Es gab tatsächlich Probleme mit dem Einlesen von EAP-Karten, sagt das Internet. Es gibt ein Update auf der Fugawi-Seite. Ich lade es herunter und ziehe es über das alte Navigationsprogramm des Laptops. Hinterher sieht einiges anders aus am Programm. Nicht unbedingt schlechter. Jetzt schau mer ma. Neuer Versuch.

Wieder nichts. Fugawi bleibt hinsichtlich meiner NX-Karten blöd. Dies und das probiere ich noch. Vergeblich, leider. Es wird immer später und ich muss noch einiges erledigen. Also erst Mal Schluss mit den Karten. Außerdem kommt Wim ja mit über die Nordsee. Und der ist echter Profi was Rechner und alles drumherum angeht. Der wird helfen können.

Samstag, Vier Tage vor Abfahrt

Ich muss nach Hause, irgendwas ist, irgendein Abendtermin. Ich hab vergessen, was genau los war. Also frühstücken, und, ich kann’s nicht lassen, noch kurz und vergeblich mit den elektrischen Karten beschäftigen. Ist ja aber auch egal. Bis zur Ostsee ist es ja noch weit. Und auf dem Plotter sind recht aktuelle Karten. Im schlimmsten Fall geht es damit auch. Am frühen Nachmittag bring’ ich den nicht vernünftig funktionierenden geliehenen Wechselrichter zum Yachtservice und ab nach Hause.

Pfingstsonntag, Drei Tage vor Abfahrt

Keine besonderen Vorkommnisse. Nur eben nach Hamburg. Das Enkelkindmädchen hat morgen Geburtstag. Wir dürfen da nicht fehlen.

Pfingstmontag, Zwei Tage vor Abfahrt

Am späten Nachmittag zurück von Hamburg. Dann Sachen gepackt. Sonst eigentlich nix. Im Moment hab ich gar keine Lust zu fahren, sage ich zu Frau Cornelia.

Dienstag, Ein Tag vor Abfahrt

Trotzdem starten wir am frühen Morgen gegen 11:00 Uhr, Frau Cornelia bringt uns nach Weener. Uns, das sind mein Bruder Wim, wir waren schon lange nicht mehr zusammen segeln und das bin ich, der Steuermann.

Ankunft gegen 13:00 Uhr. Wir werden vom Doktor und seiner Frau empfangen. Die beiden sind die liebsten Hafenmeister, die ich je hatte. Ein Traumpaar! Und sie werden nie älter. Ein Glücksfall. Ich freue mich immer, wenn ich bei den beiden zum Tee eingeladen werde. Ein Paket sei gekommen, teilt der Doktor mit.

Prima, der neue Wechselrichter ist da. Pünktlich geliefert. Gute Leute da im Internet. Und auch die Transporteure natürlich. Die haben’s gar nicht leicht bei dem ganzen Zeug, das wir uns heutzutage schicken lassen.

Für uns drei geht es erst mal zum Schiffsausrüster, meine Liste ist lang und jeder sucht sich zusätzlich noch die eine und andere Kleinigkeit aus. Wir schaffen es in vertretbar kurzer Zeit, einen Kofferraum und eine halbe Rücksitzbank zu füllen. Etliche Euros landen zum großen Teil in der Kasse von Aldi und zu einem kleineren in der von Edeka. Zurück zum Schiff und stauen. Wir arbeiten schnell und präzise. Nach zwei Stunden ist alles am Platz. Insbesondere Kohinoors Kühlschrank, der problemlos ein ganzes Schwein schlucken könnte, ist gut gefüllt mit Ess- und Trinkbarem.

Zwischendurch ist Zeit, die Schleuse eben anzufunken:

„Moin Frank, wollte hören, ob Du mich gut empfangen kannst. Möchte morgen gegen 11:00 Uhr ausschleusen und vorher noch tanken.“

„Empfang ist laut und deutlich. Alles verstanden. Geht klar. Bis morgen.“

Frau Cornelia kann mit dem sicheren Gefühl nach Hause fahren, dass wir auf unserer Nordseetour keinen Hunger leiden werden. Durst auch nicht. Den Abend verbringen Wim und ich quatschend. Vorsichtig deute ich schon mal an, dass es da noch ein Problem mit den elektrischen Karten gibt und dass er, Wim, doch echter Computerprofi sei und dass sich doch vielleicht mal eine Stunde finden könnte, um draufzuschauen. Außerdem verbaue ich noch den neuen Sinuswechselrichter. Beim ersten Start stürzt er ab und geht auf Störung. Der nächste Start funktioniert prima, die Kaffeemaschine macht schönen Kaffee, die Anlage läuft, der Fernseher arbeitet und natürlich auch der Wasserboiler und der Bordcomputer. Und wenn ich will, auch alles gleichzeitig. Super.

Die Wettervorhersage für morgen ist bescheiden: Deutsche Bucht West sieben, in der Spitze acht Bft.

weiter mit Teil -2-

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