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Der Spiegel - Abo gekündigt

Warum ich mein Abo der Print-Auf­la­ge des Spie­gels nach run­den 45 Jah­ren kün­dig­te.



15.01.2020 | © pt

Bald hab' ich kein Spiegel-Abo mehr



Natürlich, ich weiß es. Es interessiert keine Sau (Tschul­digung), trotzdem muss ich es eben erzählen.

Seit einigen schon Tagen hatte ich ein ko­mi­sches Gefühl. Immer dann, wenn ich die "Spiegel-Online" Seite auf­mach­te. Ich schau da ganz gerne rein. Und ich glaube, ich darf das - weil ich ja die Printausgabe abonniert habe. Auch wenn ich mich über die seit vielen Jahren zunehmend ärgere. Iss nich' mehr wie früher der Spiegel, geschliffener, nicht mehr so scharf­zün­gig. Ich glaube mainstreamiger ist er geworden, so wie "Focus" oder "Stern". Und viele große Bilder sind jetzt drinn. Teilweise ganzseitig. Warum ei­gent­lich? Ich hab ne Brille - ich seh ganz gut. Ich brauche keine großen Bilder, lieber hab ich Text.

StralsundAber zurück, denn darum geht es ja ei­gent­lich gar nicht. Ich gucke also so rumm auf der Onlineseite. Und wundere mich:

"Alles so durcheinander. Überhaupt kein Fluss mehr in der Seite. Bilder sind alle so groß. Komisch."

So ging das tatsächlich zwei, drei Tage. Machte keine Freude mehr die Gratisartikel zu lesen, die man bekommt . Zumal ich immer nur suchte, selten die Dinge fand, die mich interessieren. Also hab ich zunehmend in andere Portale geschaut, unter anderem in die "Welt", die "Süddeutsche", die "FAZ" und auch in die "taz".

Eigentlich sollte ich das nicht tun, denn ich hab ja die Printausgaben nicht abonniert. Zahl also nix. Aber in der Not, denke ich, darf man das. Und irgendwo stand dann geschrieben, der Spiegel Online habe seinen Webauftritt komplett "relauncht" - so nennt man das modernerweise wohl, also neugemacht.

"Mann, Mann, Mann", dachte ich so bei mir selbst, "hättest du auch selbst drauf kommen können, du Vollpfosten."

Und hab mir dann das ganze mit Bedacht noch mal angeschaut. Ganz langsam. Und dachte:

"Nicht wirklich gut - eher schlecht. Warum wohl?"

Schließlich stieß ich auf den alles er­hel­len­den, die Sache freudig erläutern­den Artikel:

  • In eigener Sache > Das ist der neue digitale Spiegel

Die einleitenden Zeilen sprachen von einer Zäsur, einem Aufbruch in eine neue digitale Zeit.

"Na bitte! Siehste wohl. So iss das - musst auch moderner denken"

Dann kam eine große weitgehend blaue Grafik. Dann ein ähnlich großes Foto mit drei Chef­re­dak­teuren, einmal weiblich, zweimal männlich.

"Warum drei? Iss das nicht viel zu teuer? Warum zwei Jungs und ein Mädel? Warum nicht andersrum? Aber bitte, iss ihre Sache. Aber drei? Hätt' ich nicht gemacht!", dachte ich wieder nur so bei mir selbst.

Im begleitenden Text sprach man davon, dass das Layout reduzierter und über­sicht­licher sei, eine klare Bildsprache trans­por­tiere die Magazinoptik ins Digitale. Und so weiter, und so weiter. Alles sei bestens, nein besser ginge es nicht, war der Tenor.

Und man habe sich natürlich auch Rat geholt, unter anderem vom, wenn ich mich recht erinnere, Schweizer Professor So­und­so. Und dieser Herr habe eindringlich dazu geraten, nichts zu verändern, gar nichts. Denn so wie es jetzt sei, sei es gut und in keiner Weise verbesserungswürdig.

Und dann? Ja dann kam der kurze und sehr einprägsame Satz von den drei Chefs:

"Wir haben nicht auf ihn gehört."

Toll, oder? Ich war, nein, bin es noch, eher auf Seiten des Mannes aus der Schweiz. Was gut ist kann man ruhig so lassen. Nicht immer alle wuschig machen mit ständigen Änderungen. Bei Aldi und Co. iss das auch Käse, wenn die ständig ihre Regale umräumen. Die Seite war okay.

Einfach gut. Übersichtlich und klar. Jetzt ist sie es nicht mehr. Sicher, der journalistische Stil ist nicht so wie früher im Spiegel, aber immer noch: Geht so. Man gewöhnt sich ja so leicht an schleichende Reduzierungen, auch die des Niveaus. Und auch andere bringen mitunter nicht ganz echte Fakten.

Nun gut. Ich war angefixt von der un­glaub­lichen Borniertheit, die die drei Chef­re­dak­teure an den Tag legten. Alle drei ganz frisch, im Januar 2019 ernannt. War richtig sauer! Watten Quatsch, oder? Jedenfalls dachte ich wieder bei mir selbst:

"Jetzt iss es gut, jetzt kündigst du deinen Spiegel. Willst du doch sowieso schon lange. Bist doch nicht richtig zufrieden damit. Aber eben noch schauen was andere so sagen, die ha'm ja immer 'nen Forum unter ihren Artikeln."

Pustekuchen, war auch anders. Forum ist nicht mehr drunter, muss man jetzt extra anklicken. Ist also unkomfortabler, schlechter zu händeln, schlechter zu lesen. Aber ich hab es gefunden. Donnerwetter, da ging es zur Sache. Weit über 800 Kommentare, geschätzt zu 95% negativ. Mal verhalten, mal brüllend laut, nur selten völlig unsachlich. Da ließ kaum einer was Gutes am Spiegel. Lohnt zu lesen!

Und ja, auch ich bin nur Herdentier - ich hab ebenfalls meinen Kommentar abgegeben und mich verabschiedet vom Spiegel. (Ist unterhalb von diesem Text nebst zweier Repliken auf meinen Beitrag nachzulesen)

Und dann bin ich gleich sitzengeblieben und hab mein Abo gekündigt. Das spart 'ne ganze Menge, runde 280 Euro im Jahr, hab ich errechnet.

Wenn denen das man nicht häufiger passiert dieser Tage, online und offline.

Wenn doch, wird wohl über kurz oder lang nur maximal ein Chefsessel übrig bleiben. Die anderen gibt's dann für billig Geld bei ebay-Kleinanzeigen oder so.






Mein Forumsbeitrag vom 12.01.2020:

Dem Grunde nach ist durch etliche fleißige Vorschreiber alles Notwendige ausgeführt. Für diejenigen, die sich zur Bestätigung ihres negativen Eindrucks nicht durch Hunderte von Lesermeinungen arbeiten möchten fasse ich zusammen: Früher war nicht alles schlechter - der Spiegel liefert mit seinem neuen Auftritt eindrucksvoll den maximal möglichen Beweis hierfür.

Ich für meinen Teil verabschiede mich nun sowohl von der Online-Plattform als auch von der seit Mitte der Siebziger Jahre abonnierten gedruckten Ausgabe des Spiegels - schade, es waren lange Jahre scharfzüngiger, hintergründiger gut gemachter Lektüre. Häufig verursachte sie Schmunzeln, zustimmendes Nicken, durchaus hin und wieder auch ablehnendes Kopfschütteln. Genau diese Mischung war in Ordnung für mich.

Nach meiner Wahrnehmung nun schliffen die vergangenen runden 25 Jahre so intensiv an Stil und Präsentation des Blattes, dass, von Ausnahmen abgesehen, überwiegend gehetzte journalistische Beliebigkeit geblieben ist.

Für mich also ist es an der Zeit zu gehen - mit Glück sogar Neues zu finden. Zwei Fragen bleiben: Liegt meine Unzufriedenheit womöglich an meiner antiquierten Sicht der Dinge? Oder ist es der Geist der Zeit, dem wir uns beugen sollen?

Adieu Spiegel




Replik No. 1 vom 13.01.2020 von "K70_Ingo"

Es mag sein, daß wir -ich sehe das genauso wie Sie- mit diesen Ansichten aus der Zeit gefallen sind - dann ist es eben so.

Es gibt keinerlei Anlaß, sich dem Zeitgeist beugen zu müssen.

Warum sollten wir das tun, aus reinen Modegründen die eigenen Qualitätsansprüche herunterzuschrauben?




Replik No. 2 vom 14.01.2020 von "Meinung -km7f3MPZg"

Moin, ich habe keine Ahnung wie alt Sie sind, aber ich bin m Mitte 40 und in der digitalen Welt Zuhause. Ich kann Ihre Ausführungen komplett unterschreiben. In meiner Ausbildung, Studium und jetzigem Berufsleben war der Spiegel neben der Süddeutschen, Frankfurter Rundschau und der TAZ ein ständiger Begleiter. Damals gute Zusammenfassungen ohne das ich für alles einen akademischen Abschluss brauchte. Es war halbwegs gut recherchiert und gab Raum für ein eigenes Bild. Von diesem tatsächlichem Journalismus, ist der Spiegel heute Lichtjahre entfernt. Wenn überhaupt bekommt der Spiegel mal im Kooperationsverbund ARD/ZDF/Sueddeutsche etwas hin. Aus meiner Sicht hat sich der Spiegel verzettelt und sein Kerngeschäft ohne Grund verlassen, aber die App SPON war gut (man hoffte ja immer auf besseren Journalismus irgendwann mal).

Sowohl die Themen, als auch die Sprache hat aber seit Monaten deutlich dem Boulevardjournalismus angenähert. Meinungen und Kommentare der Schreibenden (ich vermeide an dieser Stelle den Begriff Journalisten) verschwammen fröhlich mitr den Fakten, ich finde das äußerst bedenklich. Aber wie das Papier zum Relaunch ja bestätigt, ist das die neue Strategie des Spiegel.

Die "alten" Spiegeljournalisten hätte übrigens zu ihren Taten gestanden und hier mit den Foristen heiß diskutiert. Das der neue Spiegel das zwar ankündigt, aber nicht umsetzt, spricht für sich!

Das Prädikat "Spiegel" Stand früher für "mehr oder weniger" (alles relativ) Qualität und Anspruch, heute bestenfalls abgeschriebenes Halbwissen und 30 Sekunden Statements. Und das in Zeiten, wo Teile des Spiegel (siehe Fall Claas Relotius) beim "Betrug" erwischt worden sind. Wie hat der Claas das nur ganz alleine geschafft? Im Dezember 2018 fliegt der Betrug auf, im Januar 2019 gibt es eine neue Chefredaktion und heute sehen wir ein Ergebnis. Hätten Sie mal jemanden gefragt... ach ja, hatten sie ja, der (Hr. Matt) hatte aber die falsche Meinung ;)




Diese drei Texte veröffentliche ich hier ohne Wissen um die Rechtslage. Darf ich, darf ich nicht? Den Ersten sicher wohl - iss ja meiner!




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